BERLIN - "Eins, zwei, gsuffa!" Das ist nicht das letzte Wort, das man vom Münchner Oktoberfest vernimmt. Rechtzeitig zur Eröffnung, aus klimatischen Gründen immer im September, bekommt München ein Oktoberfestmuseum - allen Ernstes. Es wurde vorige Woche in einem der ältesten Münchner Bürgerhäuser nahe dem Isartor eröffnet - mitsamt Bierstüberl. Wer meint, in den Buden und Zelten bei Bier und Weißwurst die bayerische Volksseele zu finden, ursprünglich und authentisch, der sollte beim Museum hereinschauen, möglichst im vor-trunkenen Zustand. Da erfährt er oder sie - vorwiegend Norddeutsche im Trachtenlook - etwas von der Politik des bayerischen Freudenfestes. Es war die Monarchie, die vor ziemlich genau 200 Jahren von Napoleons Gnaden auf die strategische Landkarte des südlichen Deutschlands gesetzt wurde und dringenden Bedarf spürte, sich populär zu machen. Die Wittelsbacher waren in den alten Landesteilen Ober- und Niederbayern und Oberpfalz gefürchtet, in den neuen Departements verhaßt. Hatte nicht München die Zerstörung des historischen Gedächtnisses an Donau und Main anbefohlen? Die Klöster aufgehoben, ihre Bibliotheken gefleddert, ihre Silberkelche eingeschmolzen, Mönche und Nonnen in alle Winde verstreut? Waren nicht die Söhne, die in Spanien und Rußland Napoleons Kriege auszufechten hatten, verdorben und gestorben? In letzter Stunde, um nicht vom Sturz Napoleons mitgerissen zu werden, schlugen sich die Bayern auf die Seite der Sieger. Da war die Verheiratung der Prinzessin Theresia ein Gottesgeschenk. Aus dem Volksfest wurde eine Tradition, jedes Jahr zu wiederholen. Die Regierung förderte die Kostümierung, dem romantischen Zeitgeschmack gemäß. Mit dem Oktoberfest war lange Zeit auch eine landwirtschaftliche Leistungsschau verbunden, Vorführung von Pferdezucht, Milchkühen und Zuchtbullen. Brauchtum, um fehlendes Bayernbewußtsein zu schaffen, wurde angeordnet und von der Monarchie vorgelebt. Man wollte sich von den Preußen nicht den Patriotismus stehlen lassen. aus: Die Welt